Vernissage: Montag 10. Juli 2006 um 20 Uhr

Erinnerung der Stadt. Verborgene Orte
Gruppenausstellung mit: Zuzanna Buszewicz, Anna Gelbart, Pawel Piotrowicz und Michael Schroeder

Fotoausstellung von stipendiaten der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft

Dauer der Ausstellung 10.07. - 13.07.2006
Erinnerung der Stadt. Verborgene Orte

Projekt von Anna Gelbart, Zuzanna Buszewicz, Paweł Adam Piotrowicz, Michael Schroeder

In normalen Museen sieht man nur Dinge, die ausgestellt sind, aber kann sich nicht die wahre Geschichte und die damit verbundenen Gefühle vorstellen, die dahinter stecken. An Orten, die Geschichte erlebt haben, fühlt man eine Verbundenheit zu den Menschen, die dort gelebt haben oder Ereignisse, die dort passiert sind. Nicht alle solche Orte sind gekennzeichnet, weil sie keine große Bedeutung für die literarische Geschichte haben. Wir wollten herausfinden, wie aus einem üblichen und vergessenen Ort eine spontan entstehende Gedenkstätte wird, die stark mit individuellen Emotionen und Gedanken verbunden ist.

Von Anfang an hat unsere Gruppe sich als Ziel gesetzt, die Menschen bei der Konfrontation mit der Geschichte und vergessenen Vergangenheit zu beobachten und diese Beobachtungen an andere weiter zu geben. Im Laufe des Projektes haben wir nach die Recherche in Bibliotheken und Archiven die Orte in Berlin ausgesucht, die einen dramatischen Hintergrund in der Verbindung mit dem Zweiten Weltkrieg haben und vergessen wurden. Meistens gibt es dort sogar keine Gedenktafel. Nach der Aussetzung mit dem geschichtlichen Hintergrund der Orte wurden junge Menschen, die fähig waren, ihre Emotionen klar auszudrücken, mit der Geschichte konfrontiert. Während dieses Prozesses, wurden die Aussagen der Jugendlichen aufgenommen und die Personen selbst wurden an den Orten fotografiert.

Als Endprodukt wurde eine mit Ton begleitende Fotoausstellung in Galerie Zero in Berlin-Kreuzberg vorbereitet, die von 10. bis 14. Juli stattfand. Wir haben Fotos von zwölf Personen an sechs Orten gezeigt. Im Ausstellungsraum wurden auch die Ausschnitte von Aussagen fotografierten Personen ständig als Tonloop wiederholt.

1. Ehemalige Synagoge Dresdner Straße in Kreuzberg

An der Stelle in Dresdener Straße, wo sich heute ein Spielplatz befindet, stand früher eine der prächtigsten Synagogen in Kreuzberg. Die am Anfang sehr beliebte und reiche Synagoge, wurde mit der Zeit zu klein und nachdem von der Gemeinde verlassen. Während des Zweiten Weltkrieges diente das Gebäude als Wohnhaus. Weil die Zeit dem Gebäude viel Schaden angetan hat, wurde es abgerissen.

Juliane aus Deutschland, 22 Jahre alt, studiert Lateinamerikanistik, Politik und Publizistik

Der Lauf der Zeit ist so wie er läuft. Alles konservieren und alles aufbauen macht keinen Sinn. In Potsdam wurde jetzt eine Garnisonkirche vollkommen neu wiederaufgebaut. Das ist übertrieben, es hat keinen Zweck für die Zeit heute. Um ein gewisses Maß Erinnerung zu bekommen, reicht eigentlich eine Gedenktafel. Natürlich hat dieser Ort jetzt Wirkung auf mich, ich behalte es erstmal, aber ich werde nicht in drei Jahren noch darüber nachdenken. Schön, dass hier heute wenigstens die Kinder spielen.

Nadia aus Australien, 23 Jahre alt, Designerin

Die Stadt ist doch was lebendiges, man kann nicht immer was auf die Wand kleben um zu sagen, was dort vorher war. Es ist die Frage, wofür und mit welchen Kriterien man alles dokumentieren will. Ich weiß nicht, ob man dass vergleichen kann, aber heute hatte ich ein Gespräch mit Freunden und es ging um Einreisen in die USA und damit verbundene Informationssammlung. Die nehmen von links ein Fingerabdruck, von rechts und dann noch vom Gesicht ein Bild. Aber wem hilft das eigentlich? Es ist doch so viel Information und wir wissen nicht, wie sie verwendet wird.

2. Frühes Konzentrationslager General-Pape-Straße bei Bahnhof Berlin Südkreuz

Im Kellern der ehemaligen Kaserne an der General-Pape-Straße befand sich 1933 das frühe Konzentrationslager mit mindestens 2000 Häftlingen. Hier wurden Gegner des Nationalsozialismus gefangen gehalten, gefoltert und auch ermordet. Heute befindet sich an diesem Gelände das Robert-Koch-Institut.

Elena aus Spanien, 26 Jahre alt, studiert Deutsch in Berlin

Der erste Eindruck als wir hier gekommen sind war, dass es ein ganz normales großes Gebäude ist. Als ihr mir über die Geschichte erzählt habt, habe ich etwas genauer mir das ganze angeguckt und sehe es jetzt etwas anders. Aber das Gebäude ist nur das Gebäude, man muss immer eine neue Chance geben. Egal ob es ein Haus oder ein Mensch ist – die Geschichte darf nicht die Gegenwart beherrschen.

Ich finde es, dass die Deutsche sehr ehrlich mit Umgang mit der Geschichte sind. Sie konnten alle solche schreckliche Orte einfach schließen und sie vergessen, aber sie haben es nicht getan. In Spanien muss man allein solche Stätten suchen, die zum Beispiel mit Franco-Diktatur verbunden sind. Hier in Deutschland ist es alles generell sehr gut gekennzeichnet.

Matt aus den USA, 21 Jahre alt, lernt Deutsch in Berlin

Man spürt es überhaupt nicht, dass es hier einmal ein Konzentrationslager war. Das Gebäude erinnert mich an meine Grundschule, sowohl architektonisch, als auch im Sinne von Atmosphäre. Hier ist es nicht so fürchterlich wie in Auschwitz, wo es mir speiübel war. Die Gebäude können also jetzt ganz normalen Zielen dienen, solange es hier keine Gaskammer gab.

In den US haben wir ganz anderen Umgang mit Gebäuden: wir zerstören die alten Häuser nach zwanzig oder dreißig Jahren und bauen was Neues. Hier in Europa versucht man die Gebäude so lang wie möglich zu erhalten. Für die Erinnerung ist es vielleicht besser, aber manchmal ist es schön, neue Bauten am Ort zu haben. Ich zum Beispiel würde nicht gern hier in diesem alten Gebäude arbeiten, es ist mir hier nicht geheuer.

3. Waldsiedlung Krumme Lanke

Die Waldsiedlung Krumme Lanke ist ein sich in einer schönen und ruhigen Umgebung außerhalb der Stadt befindender Ort, der als SS-Kameradschaftssiedlung von der Mitte der 30. Jahren bis zum Anfang des Zweiten Weltkrieges gedient hat. Nach dem Kriegsende haben die Alliierten beschlossen, dass diese Gebäude als Wohnhäuser für die Opfer des nationalsozialistischen Regimes dienen sollten. Bis heute wohnen in der Waldsiedlung einige Nachkommen der ehemaligen Opfer.

Caroline aus Deutschland, 28 Jahre alt, Politologin

Das Gelände wirkt sehr harmonisch und ich assoziiere es nicht mit diesem schrecklichen System. Die Häuser entsprechen dem Bild des deutschen Heimatgefühls. Klein, gemütlich, beschaulich, mit Grünanlagen. Es konnte irgendwo in Mitte- oder Süddeutschland in kleinem Bergdörfchen sein.

Es wird hier nicht darauf hingewiesen, dass die Siedlung für Nazis gebaut wurde. Die Straßenschilder lassen in keine Art und Weise darauf schließen, was es hier einmal war. Ich glaube, viele, die hier wohnen, wissen das gar nicht. Hätte ich das nicht gewusst und wollte aufs Land in Grüne ziehen, dann wäre ich sicherlich hier eingezogen ohne nachzufragen, was das für ein Ort war.

Thomas aus Deutschland, 30 Jahre alt, Arzt

Mir ist es sofort aufgefallen, dass es eine Kaserne von vor sechzig Jahren sein könnte. Von der Idee her sieht diese Wohnsiedlung genau so aus wie der Flughafen Tempelhof: durchgehende Reihen von Gebäuden. Es gibt an der Ostsee auf Rügen eine riesige Kaserne, die genauso aussieht. Die ist aber noch größer, drei, vier mal so hoch wie das hier. Sie ist auch in die Natur integriert, vielleicht ist diese Naturverbundenheit ein bisschen ein Teil der NS-Ideologie.

Ich sehe, dass überhaupt nicht darauf hingewiesen wird, welche Vergangenheit diese Siedlung hat. Aber man muss nicht alles kennzeichnen. Es ist eigentlich schön, dass dieser Ort dann doch eher unkenntlich ist. Vielleicht es ist besser für die Menschen, die hier wohnen und viele wissen gar nicht, dass hier früher mal Nazis gewohnt haben. Ich würde nicht gern jeder Tag solche direkte Konfrontation mit der Vergangenheit haben.

4. Wasserturm am Kollwitzplatz in Prenzlauer Berg

Dieser Wasserturm ist der erste Wasserspeicher Berlins, gebaut um 1850. Seit Februar bis Juni 1933 dienten die Maschinenhalle und der große unterirdischer Wassertiefbehälter als Konzentrationslager. Nach dem Krieg wurde der Ort als Müllplatz, Warenlager und Wohnhaus benutzt. Heutzutage befinden sich im Wasserturm Wohnungen, am Gelände werden kulturelle Veranstaltungen untergenommen und auf dem Spielplatz amüsieren sich die Kinder.

Gabriel aus Kolumbien, 25 Jahre alt, studiert Chemieingenieurwesen

Ich habe schon von Wasserturm gehört, aber diese Geschichte mit dem Konzentrationslager ist irgendwie versteckt. Man fühlt sich nicht so gut an solchen Orten und denkt immer darüber, was hier vorher passiert ist. Aber man darf nicht in der Vergangenheit bleiben, man muss weitergehen. In Berlin und überall in Deutschland gibt es so wie so viele Gedenkstätten, dass wir weitere nicht erreichen müssen. Das Wichtigste sind doch die Leute, die Zeitzeugen, die sich noch an der Vergangenheit erinnern. Wir müssen solche Leute suchen und mit ihnen Gespräche führen, um die wahre Geschichte kennen zu lernen.

Juliane aus Deutschland, 21 Jahre alt, studiert Jura

Ich finde es gut, dass dieser Ort weiterlebt. Es gibt so viele Mahnmale, die still stehen, wie die Gedächtniskirche. Diese Kirche ist natürlich unersetzlich und macht wahnsinnig viel Eindruck, aber sie steht einfach da. Und hier ist es schön, dass die Geschichte weiterläuft, weil es ein Ort ist, in dem nicht nur 1933 was passiert ist. Dieser Gelände hat auch vorher eine große Rolle gespielt. Ein verantwortungsvoller Umgang mit der Vergangenheit ist, das zu integrieren, so dass wieder mal ein bisschen Normalität einkehrt. Mann muss solche Orte haben, wo man an eine Stelle an der Geschichte erinnert, aber wo nicht das ganze Gebäude als Museum betrachtet wird.

Man geht hier rein und denkt, dass es ein ehemaliger Wasserturm ist, wo heute Leute drin wohnen. Und dann kommt man mal in die Keller und sieht man: da war ja was. Ich glaube, dass es viel größerer Eindruck bei Leuten hinterlässt, wenn sie an Orte gehen, von denen sie das gar nicht erwartet haben, dass da mal schreckliche Dinge passiert sind. Das bleibt stärker im Gedächtnis und man wird davon sensibler, dass es eigentlich im täglichen Leben so viele Orte gibt, die mit unserer Vergangenheit behaftet sind.

5. Ehemaliges Hitlerjugend-Heim im Volkspark Rehberge

Mitten in ruhigen Volkspark Rehberge befindet sich das 1937 gebaute ehemalige Hitlerjugendheim. Heute dient das Gebäude als Freizeitstätte für die Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung.

6. Ehemalige Grenadierstraße (heute Almstadtstraße) bei Alexanderplatz

„Grenadierstraße bildet ein Städtchen für sich mit ihrem Leiden, Freuden und Hoffnungen, mit ihrer eigenen Sprache, Kleidung, Sitten und Gebräuchen und steht in keinem Zusammenhang mit dem großen, brausenden Berlin“. So schrieb Salomon Dembitzer 1915 über die Straße, wo einmal die Juden von Osteuropa wohnten und Geschäfte führten. Und Alfred Döblin im Roman „Berlin Alexanderplatz“ bemerkt: „Hier scheint ein Dauerlauf zu sein“. Heute zwischen Plattenbauhäuser sind nur einige Häuser übrig geblieben. Unter die Name Almstadtstraße ist sie heute eine der ruhigsten Straßen in Berlin Mitte.
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