Vernissage: Samstag, 2. Dezember 2006, 20 Uhr

WIR e.V. präsentiert: Ausstellung & Lesung

Rotkäppchen
Miri Kämpfer
Ela Woźniewska

Lesung: Ewa Maria Slaska
Fotos: Krzysztof Pukański

Dauer der Ausstellung 02.12. - 08.12.2006
Rotkäppchen – Ein Kunst-Märchen

„Rotkäppchen war meine erste Liebe. Ich wusste: Hätte ich Rotkäppchen heiraten können, so wäre mir vollkommene Glücksseligkeit zuteil geworden.“ (Charles DICKENS)

„Es kann der beglückendste, der bejahendste Gedanke entstehen aus einem völlig gleichgültigen Wort, das man umdreht, mit dessen Buchstaben man spielt wie mit einem Mosaikspiel. Mann kann Märchen vom Rotkäppchen in diesem Zustande lesen als eine Kosmogenie oder Philosophie oder als eine blühend erotische Dichtung.“
(Hermann HESSE)


"Rotkäppchen" ist allgemein bekanntes Märchen, wobei am Verbreitesten ist die Fassung der Gebrüder Grimm (1812), die eine französische Version von Perrault zur Vorlage hatte. Während das französische Original das Rotkäppchen noch auffordert in das Bett der Großmutter zusteigen und mit ihm zu schlafen, hatten schon die Grimm Brüder alle anzüglichen Stellen gestrichen oder verharmlost. In viel früheren Volksversionen ist der Wolf noch Werwolf oder das hungrige Mädchen isst in kannibalischer Archaik Fleisch und Blut der Großmutter, ohne dies zu wissen. Nur das Herausschneiden von Großmutter und Rotkäppchen aus dem Bauch des Wolfes erinnert in seiner Symbolik noch an die Brutalität arachaischer Initiationsriten. In psychologischer Auslegung ist „Das Rotkäppchen“ ein Symbol der Menstruation. Das kleine Mädchen ist eine reife Frau geworden und sieht sich jetzt mit ihrer Sexualität konfrontiert.
Erst später wurde die pädagogische Funktion des Märchens verstärkt und zur `Moral von der Geschichte´ vereinheitlicht. Es folgen viele verschiedene Fassungen, vor allem im romanischen Sprachraum, mit mehr oder minder starken erotischen Ausprägungen, verschiedene Parodien und literarische Versionen bis hin zu den modern abgeflachten Fernseh- und Filmbearbeitungen. So soll das Erstlingswerk Walt Disneys der siebenminütige Stummfilm „Grandma Steps Out“ sein, der in Wirklichkeit „Little Red Riding Hood“ (Rotkäppchen) hieß. Selbst die deutsche Panzerabwehrrakete X7 aus dem Zweiten Weltkrieg bekam den Namen des rot liebenden Fräuleins verpasst.
In der psychologischen Märchen- und Mythendeutung Erich Fromms ist das Märchen vom Rotkäppchen zur „Geschichte vom Triumph Männer hassender Frauen und endet mit deren Sieg.“ Der Mann wird als rücksichtsloses, listiges Tier und der Geschlechtsakt als kannibalische Handlung geschildert, bei der der Mann die Frau verschlingt. Der Hass und das Vorurteil gegen die Männer treten am Schluss der Geschichte nur deutlicher hervor. Auch hier müssen wir uns daran erinnern, dass die Überlegenheit der Frau darin besteht, dass sie Kinder gebären kann. Der Wolf versucht, die Rolle einer schwangeren Frau zu spielen, die lebendige Wesen in ihrem Leib hat. Rotkäppchen steckt Steine, das Symbol der Unfruchtbarkeit, in seinen Bauch, und der Wolf bricht zusammen und stirbt.
Da es sich hier um eine Frauengeschichte handelt, wurden zur Teilnahme bei der Ausstellung lediglich Frauen eingeladen. Wir wollen nachprüfen, wie es heutzutage mit dem archaischen, kanibalistischen und antisexuellen Mythos aus der Frauensicht umgegangen wird. Kennen die Künstlerinnen den Mythos, ist er als Archetyp in uns allen immer noch präsent, oder gibt es neue Auslegungsarten des alten Märchenstoff?

Gezeigt werden sollen verschiedene Möglichkeiten das Rotkäppchen bildnerisch zu variieren. Jede Version künstlerischer Ausgestaltung deutet auf die dahinter liegende Kulturmomente hin bzw. trägt diese verschlüsselt zur Schau. „Das Märchen ist ein Spiegel an der Wand, in der sich jede Epoche neu gesehen hat“, schreibt Hans Ritz. Dementsprechend hat das Märchen über die Grenzen Europas hinaus Verbreitung gefunden. Das `Rotkäppchen´-Märchen ist dabei als Muster archaischer Initiationsriten und psychologischer Sublimationen interpretiert, aber auch als Vorlage moderner Variationen: Sie ist `Lolita´ und Fetischliebend, ein Wolf-(Männer)-fressende Emanze oder allgemeine Allegorie politischer Kritik. Das Märchen wird somit als Kunst-Märchen zur Matrize künstlerischen Impetus. Die Ausstellung Rotkäppchen – Czerwony Kapturek zeigt dementsprechend das `Rotkäppchen´ in seinem Potential künstlerischer Ausgestaltungen.
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